Ist Menschenwürde Geschmackssache?

Die Menschenwürde ist unantastbar

ROT: Lange schien mir, Menschenwürde sei einer der geschmackvollsten Begriffe unserer Zeit. Doch je länger ich daran kaue, desto fader schmeckt er. Ich gebe zu, dass auch ich die Unmöglichkeit, Intensivtäter zum Beispiel nach Afghanistan abzuschieben, nicht mehr goutiere.

WEISS: Wir glauben an das Gute im Menschen. In einer Schale des Menschlich-Allzumenschlichen steckt nach unserer Auffassung immer ein wertbeständiger und würdevoller Kern, den wir leichtfertig mit abschieben würden.

ROT: Und den Menschen in Afghanistan fehlt der Geschmack dafür? Die gucken nur auf die Schale und werfen den wertvollen Kern im Zweifel mit der schlechten Schale einfach weg?

WEISS: Die Afghanen haben eine ziemlich traditionelle Küche und kochen Recht und Moral nach jahrhundertealten Rezepten. Menschenwürde in unserem Sinne gibt's dort nicht einmal als Beilage.

ROT: Du hältst die universelle Menschenwürde für reine Geschmackssache?

WEISS: Sieh es mal so: Früher haben wir im Westen an Gott, Kaiser und Vaterland geglaubt und uns im Zweifel dafür geopfert. Diese Dreifaltigkeit haben wir nach und nach - und in Deutschland besonders gründlich - abgeschafft. Seitdem glauben wir nur noch an uns selbst, das heißt an den Menschen als Prinzip und nennen das Menschenwürde.

ROT: An irgendetwas muss eine Gesellschaft ja auch glauben, wenn sie sich nicht ins Chaos stürzen will.

WEISS: Das ist gewissermaßen die umgekehrte kopernikanische Wende. Während heute selbst der Vatikan anerkennt, dass sich die Erde um die Sonne dreht, glauben wir seit der Aufklärung fest daran, dass sich das Universum um das Individuum dreht.

ROT: Totz unserer vielen Kreuzzüge im Namen des Individualismus konnten wir den Osten bislang von unserer neuen Weltsicht nicht überzeugen. In China dreht sich das Individuum nach wie vor ums Kollektiv.

WEISS: Schau Dir doch unsere Welt an. Es ist offenbar völlig egal, wer sich hier um wen dreht. Am Ende ist es ein einziger wilder Tanz der Menschheit ums goldene Kalb.

Lasst's Euch schmecken! (Gebt gerne Euren Senf dazu.)
LG Ralf & Thomas

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Gehört zur Menschenwürde nicht ein gewisses Mindestmaß an Respekt – auch gegenüber dem Thema?

Ist das zentrale Wort unseres Grundgesetzes nicht zu vielschichtig um hier mal eben in Eurer viel zu kleinen Pommesschale mit meiner Soße präsentiert zu werden?

Die Franzosen erinnern uns ja gerade daran, dass sie es waren, die für unser aktuelles Verständnis von Menschenwürde bis aufs Blut gerungen haben:
freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Müssen wir nun dringend über unsere Interpretation von Menschenwürde diskutieren – diesmal bevor Köpfe in Frankreich rollen?

Oder ist es nicht unwürdig gut genährt über soziale Ungerechtigkeiten (Eurer goldenes Kalb) debattieren zu wollen, während anderenorts Menschen verhungern?

Aber was frage ich Euch:
„Wenn ein Philosoph einem antwortet, versteht man überhaupt nicht mehr, was man ihn gefragt hat.“ meinte schon André Gide.

?

Den Vorwurf eines konfrontativen Perspektivwechsels würden wir uns gefallen lassen – aber Respektlosigkeit? So ähnlich muss der Papst empfunden haben, als Kopernikus die bisherige Weltsicht infrage stellte. Gewohnte Glaubenssätze zu hinterfragen ist immer schmerzhaft aber – zumindest hoffen wir das – der Beginn einer lohnenden Diskussion.

Ich lese in Eurem Beitrag eine gewisse respektlose Überheblichkeit gegenüber den Afghanen. Ich bin im Sauerland sozialisiert worden und habe den Eindruck, dass es zwischen dem Inhaber geführten Mittelstand dort und den Stammesfürsten in Afghanistan einige Parallelen gibt. Und das sind nicht unbedingt schlechte Eigenschaften! ?

Revolutionär finde ich Euren Perspektivwechsel nicht. Es ist nur der Blick zurück auf die antike Interpretation von Menschenwürde mit der starken Anlehnung an Respekt:
– richtet sich nach der Nützlichkeit der Taten für die Gemeinschaft, wobei die Nützlichkeit dem Urteil der Gemeinschaft überlassen bleiben.
– Menschenwürde muss verdient werden.
– man kann seine Würde auch verlieren.

Durch die Aufnahme von Menschenwürde in das Grundgesetz haben wir diese nun jedoch eng an die Menschenrechte gekoppelt.
Un-Würde beginnt dann also frühestens bei Verstoß gegen Menschenrechte?

Das widerspricht jedoch meinem Bauchgefühl:
gewisse Twitter Streams z.B. verstoßen wahrscheinlich nicht gegen Menschenrechte – sind aber dennoch Menschenunwürdig und verdienen auch keinen Respekt …

„Schamlosigkeit bezeugt den Verlust der Menschenwürde“, Erich Limpach.

Als Sauerländer, lieber Georg, stehen wir doch wohl fest auf dem Boden des Grundgesetzes und in dem Lob der traditionellen afghanischen Moralküche kann ich, mit Verlaub, nichts despektierliches erkennen.

Der Punkt, in dem es in dieser vergleichsweise fettigen Mahlzeit geht, ist, dass die Menschenwürde als Absolutum ein Glaubenssatz ist, an den man genau so glauben muss wie an jeden anderen. „Die Menschenwürde ist unantastbar“ ist abgeleitet aus dem neutestamentlichen Weltgericht, in dem Matthäus Jesus sagen lässt (25, 40): Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Das Individuum, jeder einzelne Mensch, ist demnach unantastbar, weil er den Christus in sich trägt, an dem sich doch wohl niemand ernsthaft vergreifen wollen kann.

Inzwischen ist der Staat säkularisiert, das Christentum als staatstragende Größe abgesetzt und dem kollektivistischen Islam gleichstellt. Aber das Konzept bzw. der Glaubenssatz von der Menschenwürde soll weiterhin und sogar weltweit gelten – mit welcher Begründung? Zumindest muss man im Rahmen der Religions- und Glaubensfreiheit tolerieren, dass andere Kulturen andere Glaubenssätze formulieren.

Ich bin ein Gegner eines destruktiven Missionseifers, der anderen Kulturen westliche Denk- und Glaubensart aufzwingt. Stattdessen geht es in der Politik immer wieder darum, das internationale friedliche Miteinander auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners multilateral auszuhandeln.

Dann möchte ich mal provokant das GG etwas anders lesen:

Präambel:
„..Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“

Art 1
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Bis hier lese ich noch keine Ausdehnung über das deutsche Volk hinaus. Erst danach kommt die weltweite Mission:

„(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu .. Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft .. in der Welt.“

Also die Menschenwürde für das Deutsche Volk und darüber hinaus die Menschenrechte für die gesamte Welt?

Alles nur ein Missverständnis bei der Interpretation des GG?
?

Das Recht auf ein würdiges Dasein hat jeder Mensch von Geburt an, das muss sich niemand verdienen.
Seine Würde kann man aber ganz schnell verlieren und dafür muss man nicht aus Afghanistan kommen.
Da reicht es wenn du in Deutschland in einer der Aufbewahrungsanstalten für Alte oder Pflegebedürftige untergebracht wirst.
Die teilweise erbärmlichen Zustände sind bekannt, geändert wird nichts. Wenn es um Geld geht, gibt es eben weder Moral noch Würde.
Die Frage ist dann hier wohl nicht, ob Würde eine Geschmacksache ist, sondern was darf das Recht auf Würde kosten.

Ja, das wird noch spannend wie sich Menschenwürde in Zeiten abnehmenden Wohlstands gesellschaftlich realisiert.

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